Donnerstag, 25. Januar 2007

Leseprobe aus dem Buch "Aki Kaurismäki" von Jochen Werner

Kaurismäki, der Finne
Winter. Eine Kneipe am Polarkreis. Seit Stunden sitzen zwei Finnen auf den Barhockern am Tresen. Wortlos betrinken sie sich mit Wodka. Irgendwann, nach langem Schweigen, hebt einer der beiden den müden Blick, schaut dem anderen in die glasigen Augen und wünscht: »Prost.« Sein Gegenüber gibt sich mürrisch: »Was soll das? Sind wir hier zum Quatschen oder zum Trinken?« Geschichten dieser Art bestärken eine Vorstellung, die Mitteleuropäer allzu gerne von Finnland und seinen Einwohnern haben – wenngleich meist ohne Kenntnis der Realitäten. Trinkfest sei der Finne, so heißt es, und da er über seine Einsamkeit in den öden Weiten der finnischen Tundra depressiv geworden ist, gibt er sich einsilbig und eigenbrötlerisch. So durchschaubar das Klischee ist, so unterhaltsam ist es doch. Der Brite trinkt Tee, der Franzose trinkt Wein, der Finne trinkt zu viel.
Die Filme von Aki Kaurismäki haben sicherlich Anteil an der hartnäckigen Persistenz des finnischen Images. Längst hat sich der kauzige Regisseur mit dem spröden Charme bei den deutschen Feuilletonisten den Status eines Botschafters des wahrhaft Finnischen erworben. In seinen lakonischen Werken hat er »Finnland melodramatisiert, die Öde und Trostlosigkeit ins Absurde übersteigert und zum Genretopos […] gemacht«1. Die trostlose Weite der Landschaften und die Tristesse der Großstadt Helsinki, die Melancholie der Figuren, einfache Leute, die stets einen Schritt vor dem sozialen Abgrund stehen, die Präsentation eines vermeintlichen Zonenrandgebiets Europas, das zwischen altsowjetischem Erbe und dem Kapitalismus des freien Unternehmertums keine wirkliche soziale Perspektive bietet, und schließlich die unvermeidliche, halb leere Flasche Kosenkorva-Wodka auf dem Tresen einer Bar kurz vor der Sperrstunde – all dies beschwört ein nationales Bild herauf, das im Sinne des Klischees kaum finnischer sein könnte. Die Filmkritik hierzulande hat dieses Bild dankbar aufgenommen, verstärkt und propagiert. Die Pflege des Stereotyps erfolgt liebevoll, zuweilen sogar anrührend.
Insofern überrascht es kaum, dass Kaurismäkis Filme hauptsächlich im Kontext eines nationalen Kinos diskutiert werden. Kaurismäki gilt bei vielen Kritikern nach wie vor als der Vertreter des finnischen Kinos schlechthin. »Aki Kaurismäkis Filme hievten Suomi zurück auf die Kinolandkarte«2, befand Rainer Nolden einst in der Welt und setzte den Regisseur damit gleich als pars pro toto für das gesamte finnische Kino, von dem man hierzulande außer Kaurismäkis Filme zugegebenermaßen kaum etwas wahrnimmt. Doch nicht nur Kaurismäkis Filme, auch die Selbstinszenierung des Regisseurs hat Anteil an seinem Ruf als Finne per se. Seine oft alkoholschwangeren Auftritte auf den mondänen Filmfestivals der Welt haben ihm längst die Reputation des notorischen Säufers und clownesken Störenfrieds eingebracht. »Man erwartet von Finnen im Ausland doch, dass sie immer besoffen sind«, sagt er, »das ist unsere Folklore, unser Nationalschicksal.«3

Kaurismäki, der Filmemacher
Die Tristesse Finnoise stellt den vornehmlichen Hintergrund dar, vor dem Kaurismäki in der Öffentlichkeit rezipiert und diskutiert wird. Wer sich allerdings bemüht, die Kurzsichtigkeit des Klischees zu überwinden, der erkennt bald, dass seine Filme weitaus mehr zu bieten haben als eine Sicht auf die Welt vom Barhocker aus gesehen.
Denn Kaurismäkis Kino ist ein äußerst vielfältiges Kino, das sich vom gegenwärtigen internationalen Filmschaffen deutlich absetzt. Während das kommerzielle Mainstream-Kino auf immer ausgefeiltere Spezialeffekte setzt und sein Publikum »an die optische und akustische Schocktherapie gewöhnt«4, setzt Kaurismäki auf Minimalismus und Reduktion. Der stetigen Beschleunigung von Schnittfrequenzen der Videoclip-Ästhetik setzt er ein langsames, episodenhaftes Erzählen durch lange Einstellungen entgegen. Während allenthalben das computergenerierte Spektakel zunimmt, besinnt er sich auf filmisches »Hand«-Werk, dreht das Rad der Zeit zurück bis zu den Anfängen der Filmgeschichte, an die er nicht zuletzt mit seinem Stummfilm Juha erinnert.
Mit unverhohlener Missbilligung beobachtet der Regisseur eine Kommerzialisierung des Kinos, die im Zeitalter boomender Multiplex-Kinolandschaften ihren Zenit noch lange nicht erreicht zu haben scheint. »I don’t think Hollywood has any morality«5, befindet er und offenbart mit diesem Statement eine Grundposition seiner Ästhetik. Einer Kulturindustrie, in der Agent Packages, Rewriters, Testmarketing und der Einfluss millionenschwerer Schauspiel-Stars über die letzte Fassung eines Films entscheiden, verweigert er sich ausdrücklich. Er betont seine künstlerische Autarkie: »Die Ästhetik meiner Filme ist das Ergebnis meiner Vorstellung.«6 Oder: »Ich bin es müde, den Dreck zu sehen, den diese Amateure für zwanzig Millionen, tausend Millionen Dollar drehen.«7 Doch auch gegen »Kunstscheiß«8 (eines der wenigen deutschen Worte in Kaurismäkis Repertoire) verwehrt sich der Finne und meint damit »mancherlei von Angelopoulos bis Greenaway«9. Wenn es also weder Kunst sein will noch Kommerz – was ist es dann, das Kino Kaurismäkis? Es fällt schwer, das Œuvre des Regisseurs in griffige und gültige Kategorien einzuordnen. Häufig lassen schon einzelne Filme den Zuschauer ratlos zurück und über Inhalte und Ästhetik grübeln. Erschwerend kommt hinzu, dass sich Kaurismäki selbst kaum ernstlich über seine eigene filmische Intention äußert. Seriöse Versuche eines Interviews mit ihm werden häufig zur Farce, in der die Formulierung seiner Weltanschauung kaum über Sätze wie »Ich finde, die Menschen reden zuviel« oder »Farben sind etwas für Anfänger« hinausgehen. Eines aber ist von vornherein erkennbar: Das Kaurismäki’sche Kino ist ein oppositionelles, das sich einfachen Kinokonzepten widersetzt und eigenwillig eigene Wege finden will.
Besonders prägnant ist die Gestaltung der Filmhelden Kaurismäkis. Seine Werke rücken den Menschen in den Mittelpunkt, seine Sehnsüchte, seine Hoffnungen und Träume, seine Nöte und seine alltäglichen Anstrengungen im Überlebenskampf der (post-)industriellen Zivilisation. Es sind nicht die Übermenschen des Spektakelkinos, die Kaurismäkis Filme bevölkern: Seine Helden stehen in aller Regel knapp vor dem sozialen Absturz, sind meist auf sich allein gestellt und widersetzen sich wortkarg einer Welt widriger Lebensumstände. Eine solche Sicht auf den Menschen offenbart die Bemühung, dem Kino die Glaubhaftigkeit seiner Geschichten zurückzuverleihen. In dieser Hinsicht steht Kaurismäki in der Nachfolge des italienischen Neorealismus und noch mehr des poetischen Realismus der Franzosen, zu deren Filmtradition Kaurismäki eine starke Affinität aufweist. Mit Filmen wie Schatten im Paradies, Ariel, Wolken ziehen vorüber oder zuletzt Der Mann ohne Vergangenheit reetabliert der Regisseur eine fast vergessene Authentizität im Kino, »eine Wahrheit des Bildes, welche die Menschen aus dem ›Bigger than Life‹ der Leinwand herunterholt, ihnen in ihrer Kleinheit aber die menschliche Größe nicht verwehrt«10. Seine Filme und Filmbilder porträtieren die Seelenlandschaften ihrer Protagonisten einfühlsam und eindringlich, stellen die Figuren im Zusammenhang einer Sozialkritik dar, die so subtil formuliert ist, dass sie nur selten Gefahr läuft, zu moralisieren oder ins Pathetische abzugleiten. So lässt sich vermerken: Kaurismäkis Kino ist auch ein anthropozentrisches Kino.
Irritierend erscheint indes die formale Strenge, mit der Kaurismäki seine Geschichten über die Menschen erzählt. Aufschlussreich ist in dieser Hinsicht der Hinweis auf seine Vorbilder: »Stille Zuneigung empfindet er zu Zeitgenossen wie Jim Jarmusch und Kieslowski; Respekt hat er für die Professionalität eines Raoul Walsh; seine ganze Verehrung gehört Yasujiro Ozu und Robert Bresson.«11 All jene zeichnen sich durch einen streng asketischen Filmstil aus. »Sie haben Filme gemacht, in denen kein Bild, kein Wort, keine Geste zuviel ist, Filme, die aussehen, als wäre überhaupt keine Kunst dabei.«12 Das imponiert Kaurismäki. Man merkt Kaurismäki seine Vorbilder an, beinahe jeder seiner Filme huldigt insgeheim einem oder einer ganzen Reihe von Regisseuren und ihren cineastischen Stilen. So zeugt Kaurismäkis Œuvre von einer profunden Kenntnis des Kinos und seiner Inszenierungsstrategien. Der Regisseur kennt die filmischen Konventionen, nutzt sie, spielt mit ihnen, hinterfragt und karikiert sie. Er schöpft aus dem reichhaltigen Angebot der Filmgeschichte und Filmkonzepte, nimmt Anleihen bei der Autocritique Godards oder der Cinématographie Bressons, reproduziert Stilisierungsformen von Murnau bis Siodmak, von De Sica bis Sirk. Derlei Reverenzen künden von der tiefen Verbundenheit Kaurismäkis gegenüber seinem Medium und weisen ihn als qualifizierten Filmkenner aus, dessen Filme weitaus mehr anbieten als das lakonische Finnlandbild eines kauzigen Trinkers.

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Das Buch "Aki Kaurismäki" von Jochen Werner (Foto)
erschien bei:
Bender Verlag
Augustinerstraße 18
55116 Mainz
Internet: www.bender-verlag.de

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Das Buch "Aki Kaurismäki" ist erhältlich bei: www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3936497087/qid=1135585654/sr=8-5/ref=sr_8_xs_ap_i5_xgl/028-7008173-6006919

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