Donnerstag, 28. August 2014

Die wahre Geschichte ihres Lebens, die Jacob und Paula Kellman für ihre Tochter aufgeschrieben haben

Literarischer Fund: Österreichischer Erster-Weltkriegs-Soldat schrieb 1940 für seine Tochter (damals 12) seine Lebensgeschichte auf

·        700 Seiten handschriftliches Manuskript in den USA aufgetaucht
·        Authentisches Dokument über Altösterreich, den Ersten Weltkrieg und  über die Zwischenkriegszeit

Jacob Kellman (1895 – 1968), österreichisch-ungarischer Soldat im Ersten Weltkrieg, machte seiner Tochter Hedwig 1940 zu deren zwölften Geburtstag ein besonderes Geschenk: Er schrieb seine Lebensgeschichte für sie auf und schuf damit ein authentisches und persönliches Bild seiner Jugend und des Ersten Weltkrieges.

„Ich tue es deshalb, weil ich überzeugt bin, dass mein Hederl es gerne und oft lesen wird“, schreibt Kellman in seiner in Blockschrift verfassten Einleitung

Die Familie Kellman war zu diesem Zeitpunkt vor dem Nazi-Regime nach Panama geflüchtet. Etliche Jahre später, als das Paar zwei Kinder hatte und in New York lebte, schrieb auch Kellmans Ehefrau Paula ihre vom Ersten Weltkrieg geprägte Lebensgeschichte und die Geschichte ihrer Familie nieder. Insgesamt handelt es sich um 700 handschriftlich beschriebene Seiten, die der Grazer Historiker Martin Moll und der Wiener Biograf Herbert-Ernst Neusiedler jetzt zutage befördert haben und als Buch vorlegen („Woher du kommst – Die wahre Geschichte ihres Lebens, die Jacob und Paula Kellman für ihre Tochter aufgeschrieben haben“, edition a, 19,95 Euro).

Mit 19 in den Krieg

Jacob Kellman verließ sein Heimatstädtchen Jagielnica in Galizien mit 13. Er wollte in Wien, der Stadt seiner Träume, Handelsreisender werden, in Hotels wohnen und Fiaker fahren. Doch sechs Jahre später brach der Erste Weltkrieg aus und er wurde Soldat. Kellman erzählt von der Stimmung an der Front, wie er den Russen in die Hände fiel und wieder entkam, wie er das Sterben seiner Kameraden und Freunde miterlebte, und wie er und die anderen Soldaten jeden Tag um Nahrung kämpfen mussten.

Kellman hat einen Text geschrieben, der zeigt, wie das Leben, auf das Einfachste reduziert, wieder auf das Wesentliche zurückführt – auf das Menschsein, in diesem Fall in unmenschlichen Zeiten. Seine Geschichte endet, als er in der Zwischenkriegszeit seine Frau Paula kennen lernte.

Quer durch die Kronländer der k.u.k.-Monarchie

Seine Frau Paula war beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges 12. Mit ihrer Familie flüchtete sie quer durch die Kronländer der Monarchie, verfolgt von den zaristischen Truppen und vom erstarkenden Antisemitismus. Sie erzählt von Kälte, Krankheiten und Nahrungsmangel. Zwei ihrer Schwestern verstarben während der Flucht, ihre Mutter erkrankte an Typhus und kämpfte gegen den Tod. Einige selbstlose Zivilisten, zum Beispiel in der burgenländischen Stadt Mattersburg, retteten ihnen das Leben.

Paula Kellmans Geschichte reicht über den Ersten Weltkrieg hinaus. Sie erzählt von der trügerischen Idylle der Zwischenkriegszeit, in der sie ihren Mann kennen lernte, und von ihrer Flucht vor den Nazis letztendlich nach New York.

„Ein Schatz unserer Familie“

Paulas Stil ist blumiger als der ihres Mannes, der in seinem Text dem von seinem Überlebenskampf gebildeten Spannungsbogen teils pointiert erzählte Episoden unterordnet. In Paulas Text geben hingegen Naturereignisse oft die Stimmung des Augenblicks noch eindrücklicher wieder; sie schildert, was der Krieg und die Zeit danach mit den Menschen gemacht hatten.

„Dieses Buch ist ein Schatz unserer Familie“, schreibt Hedy Page, die Tochter der Autoren, in ihrem Vorwort. „Ich sende es in die Welt, an alle Menschen, die an Liebe, Freundschaft und Frieden glauben.“

Die Aussagen der Schriften von Jacob und Paula Kellman verjähren nicht. Sie liefern ein universelles Gedankengut, das, wenn auch für einen kleinen Personenkreis geschrieben, doch ein breites Publikum anspricht. Jacob und Paula Kellman verweisen aus einer nicht allzu fernen Vergangenheit – wie vorausschauend – auf die Gegenwart.