Montag, 3. Mai 2010

Leseprobe aus dem Buch "Die Guppys"

Leseprobe aus: Michael Kempkes, Die Guppys, Teil 1: Biologie der Guppys, Kapitel 5.10.1 Balz der Männchen, ISBN 3-89432-875-4. © Westarp Wissenschaften, 2010:

Der Balztanz der Guppy-Männchen ist ein für den Betrachter aufregendes Erlebnis. Die Männchen verfärben sich fortwährend, sie schießen scheinbar wild durch das Wasser und verformen ihren Körper, bevor sie schließlich einen Begattungsversuch unternehmen. Dem aufmerksamen Beobachter erschließt sich alsbald die Erkenntnis, dass die Guppy-Männchen beinah ständig mit dem Balzen und Kopulieren beschäftigt sind. Welch hohes Maß an sexueller Aktivität die Männchen von Poecilia reticulata zeigen, wies FARR (1975) im Freiland nach. Er zählte durchschnittlich 13 Balzhandlungen innerhalb von fünf Minuten. Im Aquarium stellte er dagegen als maximale Balzrate sieben Balzhandlungen fest. Die unterschiedlichen Ergebnisse lassen sich auf die verschiedenen Lebensbedingungen zurückführen, wobei die höhere Balzrate in der Natur offenbar einer größeren intrasexuellen Konkurrenz zuzuschreiben ist und im Aquarium die sexuellen Aktivitäten aus verschiedenen Gründen abnehmen (keine neuen Partner, Sättigung etc.). Allerdings lassen sich zwischen einzelnen Populationen und Stämmen signifikante Unterschiede feststellen, die unter weitestgehend identischen Lebensbedingungen zu beobachten waren. HASKINS et al. (1961) und Farr (1980b) haben gezeigt, welche vermutlich genetisch fixierten ethologischen Unterschiede zwischen verschiedenen Guppy-Stämmen bestehen. Die Autoren haben die bekannten Stämme Pauper, Maculatus und Armatus hinsichtlich ihres Balzverhaltens miteinander verglichen, wobei vor allem die Balzaktivitäten der Maculatus-Guppys herausragten. Die Männchen der Stämme Maculatus und Armatus setzen sich in gemischten Gruppen gegenüber ihren Konkurrenten aus anderen Stämmen signifikant durch, wie auch anhand der Nachkommenzahlen deutlich wurde. FARR (1980b) deutete diese Ergebnisse dahingehend, dass es unterschiedlich erfolgreiche Fortpflanzungsverhalten gibt und bezog sich dabei nicht nur auf die verschiedenen Nachkommenzahlen, sondern auch auf die unterschiedlichen Balzraten (Sigmoidstellungen) in derselben Zeit. In direkter Konkurrenz mit Männchen aus dem Pauper-Stamm (fünf Männchen je Stamm) stammten fast alle Nachkommen von Maculatus-Männchen ab (HASKINS et al. 1961).

Die Balz der Guppymännchen lässt sich keineswegs vereinfachend darstellen, im Sinne einer immer wieder gezeigten, starren Reaktionskette. Es gibt viele Unterschiede im Verhalten der Männchen und im Wesentlichen lassen sich zwei männliche Taktiken voneinander abgrenzen, die sich jedoch auch nicht prinzipiell ausschließen: die Balz und die Spontankopulation ("sneak copulation") (s.a. Kap. 5.10.2).

Die "klassische" Balz, so wie sie in den Standardarbeiten von CLARK & ARONSON (1951), BAERENDS et al. (1955) und LILEY (1966) beschrieben wird, soll hier mit ihrem in Reaktionsketten erfolgenden Ablauf und ihren verschiedenen Varianten im Vordergrund stehen (Abb. 4.5a). Dabei erfolgt die Balz nicht immer in der dargestellten Ausführlichkeit. Verschiedene Umstände (z.B. die Anwesenheit von Fressfeinden) tragen dazu bei, dass Männchen eine verkürzte Balz zeigen, wobei sie einzelne Elemente der Reaktionskette auslassen. Der eigentlichen Kopulation als erfolgreichem Abschluss der Werbung ist ein eigenes Unterkapitel gewidmet (s.a. Kap. 6.3.1).

Die vollständige Balz kann in einem Zeitraum zwischen 15 und 100 Sekunden erfolgen. Nach meinen Beobachtungen nimmt die Balzeinleitung mitunter bereits einen Zeitraum zwischen 20 und 30 Sekunden ein. Das Gleiche gilt auch für die Hochbalz mit der sich anschließenden Kopulation. Die Balz verläuft nur in wenigen Fällen nach dem zuvor geschilderten Ablauf der kompletten Reaktionskette. Oftmals bricht das Männchen die Balz bereits in ihren frühen Stadien ab, weil sich das Weibchen durch Fluchtreaktionen seinen Annäherungen entzieht - oder gar in selteneren Fällen mit aggressivem Verhalten reagiert. Ebenfalls ist häufig zu beobachten, dass sich die Männchen während der Balz einem anderen Weibchen zuwenden; vielleicht weil dies attraktiver ist oder sich rezeptiver zeigt als das zuvor umworbene Tier. Nicht zuletzt wird die Balz auch gelegentlich dadurch unterbrochen, dass ein anderes Männchen plötzlich dasselbe Weibchen umwirbt und damit die Balzversuche des ersten Männchens stört Die Abfolge der Reaktionskette kann auch insofern anders erfolgen, als bestimmte Balzelemente ausgelassen bzw. übersprungen werden. Beim Überspringen einzelner Balzelemente versucht das Männchen oftmals, schneller zur Kopulation zu gelangen als dies beim Durchlaufen der gesamten Reaktionskette der Fall wäre. Es vermischen sich dann zumeist die beiden männlichen Fortpflanzungsstrategien: Balz und Spontankopulation ("sneak copulation").

Die Balz beginnt mit dem Suchen und Entdecken eines Weibchens durch ein Männchen ("searching"). Bereits während des Suchens und Näherns überprüft ("checking", "leering") das Männchen anhand des Verhaltens und möglicher Pheromonausschüttungen die Rezeptivität des Weibchens. Wie die Balz abläuft, wird im Wesentlichen durch das Weibchen entschieden. Es signalisiert seine Rezeptivität und in späteren Phasen der Balz seine Kooperationsbereitschaft. Das Männchen nähert sich dem Weibchen zumeist von hinten. In fast allen Fällen flieht das Weibchen zunächst; nur sehr wenige Weibchen zeigen sich in dieser frühen Phase der Balz, der so genannten Balzeinleitung, bereits kooperativ. Sollte es dem Weibchen gelingen, sich durch Flucht den Annäherungsversuchen des Männchens zunächst zu entziehen, so wird das Männchen das geflohene Weibchen verfolgen bzw. suchen oder sich bereits in dieser frühen Phase der Balz einem anderen Weibchen zuwenden. Hat es das Weibchen wieder entdeckt, so nähert es sich ihm wieder ("approach"). In vielen Fällen reagiert das Weibchen erneut mit fluchtartigem Verhalten, doch das Männchen verfolgt nun das Weibchen unablässig. Das Verfolgen kann sich mit zunehmender Fluchtgeschwindigkeit in seiner Intensität steigern ("following"). Gelingt es dem Männchen nun, in die Nähe des Weibchens zu kommen, so verfolgt es das Weibchen mit angelegter Rücken-, After- und Schwanzflosse ("following with folded fins"). Dieses Verhalten kann auch zu einem späteren Zeitpunkt erneut gezeigt werden. BAERENDS et al. (1955) und FARR (1980b) bewerteten dieses Verhalten eher als ein Anzeichen geringer sexueller Motivation des Männchens. Letztgenannter Autor deutete diese männliche Verhaltensweise als eine Art Beschwichtigungsgeste, während derer das Männchen die Rezeptivität des Weibchens feststellen kann. In dieser frühen Phase weist das sexuell bereits stark erregte Männchen in vielen Fällen eine Dunkelfärbung des oberen Schwanzflossenrandes, ein dunkles Band auf dem Schwanzstiel und etwas später einen dunklen Fleck unmittelbar vor der Schwanzwurzel auf (Abb. 4.5b). Aus dem Verfolgen wird zunehmend eine Art "Begleiten" in unmittelbarer Nähe zum Weibchen. Dabei kann es sich hinter, neben, oberhalb und unterhalb desselben aufhalten. Die Position oberhalb des Weibchens wird nur selten und dann auch nur kurz gehalten; das Männchen bemüht sich darum, neben oder unterhalb des Weibchens zu gelangen (eig. Beobachtungen). In dieser Phase kann es mitunter auch zu einem ersten kurzen Benippen der weiblichen Genitalregion mit dem Maul kommen. Damit endet die Phase der Balzeinleitung.